Virtueller Rundgang 52 – Der 9. November 1938 für Familie Ritzewoller

In diesem Haus am Trauerberg wohnte Familie Ritzewoller im November 1938 (Foto: Stadtmuseum Brandenburg an der Havel)
In diesem Haus am Trauerberg wohnte Familie Ritzewoller im November 1938 (Foto: Stadtmuseum Brandenburg an der Havel)

Der 9. November ist ein Tag, der in mehrfacher Hinsicht untrennbar mit der deutschen Geschichte verbunden ist: 1918 mit der Ausrufung der (Weimarer) Republik oder 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer. Der 9. November 1938 ist jedoch der dunkelste in dieser Reihe, an dem in ganz Deutschland die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in ein neues Extrem trat.
Auch in Brandenburg an der Havel kam es am 9. November 1938 und in der darauffolgenden Nacht zu Überfällen auf jüdische Bürgerinnen und Bürger, bei denen Menschen misshandelt und verschleppt wurden. Geschäfte wurden zerstört und geplündert, die Synagoge in der Großen Münzenstraße 15 niedergebrannt. Bei Recherchen zur aktuellen Ausstellung „1945“ stießen wir auf die Abschrift eines Gerichtsurteils der großen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin, Zweigstelle Brandenburg/Havel aus dem Februar 1947: verurteilt wurde Anna M. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
In der Urteilsbegründung wird folgender Tathergang beschrieben: Am Vormittag des 9. November verließ Anna M. ihre Wohnung am Trauerberg 36a, um einkaufen zu gehen, als fünf Männer sie am Hauseingang nach Martin Ritzewoller fragten. Sie zeigte ihnen den Eingang zu Wohnung und Geschäftsräumen im Erdgeschoss und ging einkaufen. Als sie zurückkehrte, sah sie, dass die Wohnung und das Herrenkonfektionsgeschäft der Familie Ritzewoller verwüstet waren. Die Männer hatten Martin Ritzewoller nicht vorgefunden. Anna M. wies den Männern in den Garten und auf den Dachboden als mögliche Verstecke.
Als Ritzewoller später gewaltsam vom Bahnhof zurückgebracht wurde, soll sie auf den 70-jährigen Kaufmann eingeschlagen haben, ihn als Juden und schlechten Menschen sowie seine Söhne als faul bezeichnet haben. In ihrer Aussage stritt sie ab, ihn geschlagen zu haben und verneinte ein antisemitisches Motiv. Sie hätte schon seit längerer Zeit Streit mit ihrem Nachbarn gehabt. Am Ende des Gerichtsverfahrens 1947 wurde Anna M. zu einem Jahr und sechs Monaten Haft sowie zwei Jahre Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.
Im Brandenburger Adressbuch von 1938/39 sind die Familienmitglieder David und Herta Ritzewoller sowie Max, Siegbert und Martin aufgeführt. Während den Spuren der anderen Familienmitglieder noch zu folgen ist, ist bekannt, dass David Ritzewoller am 7. Oktober 1942 im Ghetto Theresienstadt starb.

Quellen:
Stadtarchiv Brandenburg an der Havel, 2.0.4., Nummer 9/118 -5 118 Berichte und Meldungen d. Polizeiverwaltung, Bl. 12.
Brandenburgisches Landeshauptarchiv, 161 Archiv Obj. 04 ZB 2099
 

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